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“Basically, I'm for anything that gets you through the night - be it prayer, tranquilizers or a bottle of Jack Daniels.”

“Critics don't bother me because if I do badly, I know I'm bad before they even write it. And if I'm good, I know I'm good. I know best about myself, so a critic doesn't anger me.”

“The thing that influenced me most was the way Tommy played his trombone. It was my idea to make my voice work in the same way as a trombone or violin - not sounding like them, but "playing" the voice like those instrument- alists.”
At The Royal Festival Hall

Gegenständliche Digital Versatile Disc präsentiert uns Sinatra anno 1970 bei einem Konzert in
der britischen Royal Festival Hall - ein altehrwürdiger Auftrittsort und fraglos eine ausgesprochen
ehrenvolle Aufgabe für einen Sänger der Populärmusik, dorten zu gastieren. 1951 ihrer Bestimm- ung übergeben, sollte das Gebäude die im Kriege zerstörte Queen´s Hall ersetzen und wurde zum Stammsitz des London Philharmonic Orchestra.

Der 55-jährige Sänger bestritt am 16. November 1970 zwei Konzerte in oben erwähntem Gebäude, das zweite davon liegt uns hier als Mitschnitt vor. Es wurde auch nur einige Tage
nach dem Auftritt von der BBC im englischen Fernsehen gezeigt, dabei allerdings wurde ein Song - A Foggy Day - herausgeschnitten. Für alle später erfolgten Veröffentlichungen auf VHS oder Digital Versatile Disc gilt, dass A Foggy Day weiterhin nicht enthalten ist. Die Auslassung gerade dieses Songs erscheint befremdlich - da gibt Sinatra eines seiner seltenen Konzerte in England, singt einen Song, der zudem noch von London, dem Ort des Auftritts, handelt und die Verant- wortlichen für die TV-Ausstrahlung wissen nichts besseres zu tun, als gerade dieses Lied unter den Tisch fallen zu lassen, um stattdessen einen Werbespot unterbringen zu können. Dass man den Song nicht wenigstens für die kommerziellen Veröffentlichungen wieder inkludiert hat, ist freilich in hohem und höchstem Maße ärgerlich.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich nunmehr aber ohne jegliche weitere Verzögerung zum eigentlichen Auftritt des Sängers kommen: Es ist dermaßen himmlisch und kaum zu glauben, aber dennoch die reinste Wahrheit: Sinatra wird bei diesem Konzert von einer waschechten Fürstin angekündigt - wie Sie alle, meine werten Leserinnen und Leser, vermutlich
wissen werden, von niemand geringerer als Gracia Patricia, Fürstin von Monaco und vormals
dem filminteressierten Publicum als Grace Kelly bekannt, Hauptdarstellerin unter anderem in einigen Filmen des Regisseurs Alfred Hitchcock. Mit Sinatra und
Bing Crosby spielte sie zudem in dem 1956 entstandenen Streifen High Society. Hier also übernimmt sie - in einen bodenlangen
weißen Fummel gehüllt, das Haar zur Turmfrisur gebauscht - die einleitenden Worte. Dass hier nur lobende Worte zu Sinatra fallen, ist freilich wenig verwunderlich, so hört man beispielsweise, dass Sinatra dereinst im fernen Afrika für das Filmteam von Mogambo ein Weihnachtsfest mit allem was dazugehört, ausgerichtet habe - es sei dies ein unvergessliches Erlebnis für alle Beteiligten gewesen. Lassen Sie mich dazu ein winziges Detail am Rande einflechten: Klatsch-
berichten zufolge hatte die Anwesenheit Sinatras am Set eines Filmes, in welchem er gar nicht mitspielte, allein den Grund, dass der rasend eifersüchtige Barde verhindern wollte, dass sich
seine Herzdame
Ava Gardner und der männliche Hauptdarsteller des Films, Clark Gable, wo- möglich menschlich näher kämen, wenn Sie verstehen was ich meine, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Je nun, nach der Ankündigung durch oben erwähnte Fürstin betritt Sinatra höchstselbst die Bühne, von irgendwo seitlich schießt er hervor, im Eilschritt geradewegs auf die Fürstin zu, verfehlt sie jedoch im Spaß um einen halben Meter - sicherlich ein für diese Gelegenheit passend modifizierter Gag aus dem Repertoire des
Rat Pack. Lassen Sie mich mit Ihrer aller freundlicher Erlaubnis noch bemerken, dass Sinatras Toupet hier den wohl größtmöglichsten ästhetischen Fehlgriff darstellt, den man sich nur denken kann. Dieses Teil ist dermaßen unbeschreiblich, dass ich darauf verzichten muss, weitere Worte über dieses Unding zu verlieren. Es ist - soviel darf ich sagen - von einer derart lächerlichen Anmutung, dass es über weite Strecken des Konzerts regelrecht von der Musik ablenkt, da dem Betrachter ein stetiger Lachreiz die Kehle kitzelt. Meine Damen und Herren: Niemand, absolut niemand hat es verdient, ein derartiges Substitut am Kopfe zu tragen, am allerwenigsten Sinatra, welcher Millionen Musikfreunden unzählige und wunderbare Stunden absoluten Hörgenusses bereitet hat. Es stimmt den Betrachter traurig, dass Sinatra hier durch dieses unsägliche Etwas, das auf seinem Haupte sitzt, ein Teil seiner Würde genommen wird...

Wenden wir uns lieber den musikalischen Darbietungen zu: Der Sänger eröffnet den Auftritt mit einem Klassiker aus seinem wohl besten Swing-Album
Songs For Swingin´ Lovers, nämlich dem unvergleichlichen You Make Me Feel So Young und läßt gleich zwei weitere Top-Swing-Titel folgen: Pennies From Heaven und I´ve Got You Under My Skin. Sinatra zeigt sich dabei guter Laune, läßt momentweise jazzmäßige Improvisation einfließen und hat offensichtlich seinen Spaß daran. Allerdings wird dem Hörer recht bald bewusst - nämlich schon während des zweiten Songs - dass Sinatra bei früheren Gelegenheiten schon sehr viel besser bei Stimme war. Mit- unter werden die Töne schlecht getroffen oder die Stimme hört sich stellenweise äußerst rauh
an. Nun folgt die Beatles-Ballade Something, hier in einer Version welche weder stimmlich noch arrangementtechnisch an den Meisterstreich von 1979 heranreicht, als Sinatra sich dieses Songs noch einmal für seine Platte
Trilogy annahm und sich bei dieser Gelegenheit von Nelson Riddle ein hervorragendes neues Arrangement auf den Leib schneidern ließ. Nach einem weiteren Swing-Gassenhauer, The Lady Is A Tramp, kündigt der Sänger eine Reihe von "songs for losers" an und startet diesen Programmteil mit I Get Without You Very Well. Dieses Meisterstück aus frühen Capitol-Tagen ist freilich unübertreffbar, zumal hier des Barden gealterte Stimme überdies bedenklich brüchig klingt, brüchig zwar - aber noch nicht greisenhaft oder weinerlich, wie später in den Jahren nach seinem Comeback anno 1973 so häufig zu beobachten ist. Die Brüchigkeit wird hier bei diesem Auftritt in der Festival Hall (noch) nicht unbedingt als Schwäche empfunden, steigert vielleicht sogar die Ausdruckskraft der Interpretation. Für das darauffolgende Didn´t We mag bei freundlicher Betrachtung dasselbe gelten. Brüchigkeit her oder hin - beobachten Sie demnächst einmal, wie sehr Sinatra hier diese Lieder nicht nur mit seiner Stimme, sondern
auch mit seiner Mimik zum Leben erweckt. In der Tat, meine sehr verehrten Damen und Herren: Sinatras Gesicht spiegelt den Inhalt der Songs trefflich wider. Mit dem unvergleichlichen One For My Baby beschließt der Sänger diesen "Loser- Song-Zyklus" und hier gelingt Sinatra darsteller- isch eine hervorragende Leistung. Der Song wird nicht nur gesungen, sondern schauspielerisch gekonnt verarbeitet. Sehen Sie sich das an, meine sehr verehrten Damen und Herren, von diesem Aspekt her ist diese Version von One For My Baby sicherlich eine der allergelungensten.

Als eher verzichtbar empfinden sicher die meisten Hörer bzw. Seher die Hineinnahme des Liedchens I Will Drink The Wine, welches nun folgt. Es ist dies einer der Versuche Sinatras,
mit zeitgenössischem Liedmaterial zu punkten - ein vergeblicher Versuch, denn dieser Titel hat nicht die Qualitäten, die der anspruchsvollere Hörer allgemein mit Sinatra in Verbindung bringt.
Ein simpler Schlager mit teils kurios anmutendem Text, einigermaßen melodiös, aber wie so viele "modernere" Titel im Grunde nur wenig zu Sinatra passend. "Vielleicht machen wir eine Fortsetzung - I Will Drink The Daniels" scherzt Sinatra, der das Lied zudem
Dean Martin
widmet, sicherlich in Anspielung auf dessen Song Little Ol´ Winedrinker Me.

Ton- und Bildqualität sind übrigens zufriedenstellend, wenngleich der Ton durchaus besser sein könnte. Das Schlagzeug scheint mir eindeutig überbetont, rumpelt stellenweise fast unertäglich laut, es ist als lasse Irv Cottler stellenweise Bomben explodieren - dies scheint übrigens auch Sinatra nicht zu entgehen, bei mehreren Gelegenheiten dreht er sich nach einer neuerlichen
"Explosion" zu seinem Schlagwerker um.

Nach diesem Ausflug ins (sehr) seichte Fach steht wieder Qualtiät auf dem Programm. Der Barde bringt I Have Dreamed zu Gehör, einen Song aus dem Musical The King And I. Sinatras stimmliche Verfassung an diesem Abend erlaubt es ihm freilich nicht, der grandios interpretierten Studio-Fassung, welche wir auf dem Album
The Concert Sinatra finden, auch nur nahezukomm- en. - Mir persönlich ist dieser Titel allerdings ohnehin eine Spur zu pompös, wenn Sie, wertes Publicum, mir diese Anmerkung erlauben wollen. Abschließend folgen zwei Nummern, die in
den meisten Sinatra-Konzerten zu den Fixpunkten gehörten: Zunächst My Kind Of Town, ein zupackender Swinger, der dem Film Robin And The Seven Hoods entstammt, in welchem Sinatra auch eine Hauptrolle spielte. My Kind Of Town wird von Sinatra - wie üblich - sehr
energetisch gebracht, beachten Sie zu Beginn unbedingt auch den schelmischen Gesichts- ausdruck des offenbar in bester Stimmung sich befindlichen Barden. Als er dem Publicum
schwungvoll eine Kuss-Hand zuwirft, witzelt er, das letzte Mal habe er sich dabei die Schulter
ausgerenkt - oh, mitunter unterlief dem Sänger doch eine durchaus launige Bemerkung...
Den Schlusspunkt setzt Sinatra mit My Way, welches damals erst nach und nach begann,
nachhaltige Wirkung auf das Publicum auszuüben, einige Jahre später war es das Lied, mit
welchem Sinatra am meisten assoziiert werden sollte. Diese Version ist durchaus gut
gelungen und der in die Jahre kommende Sinatra darf am Ende getrost ein wenig in den Beifallsbekundungen des Publicums baden, während gleichzeitig der Abspann über unsere Schirme läuft. Für einen Moment sieht man übrigens auch
Tony Bennett unter den Zuschauern. Ob derselbe eigens für das Konzert angereist war oder sich zufälligerweise ebenfalls gerade zu London aufhielt, kann ich Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, leider nicht sagen. Vieles freilich spricht für letztere Annahme.

Wir wollen abschließend und zusammenfassend die Plus- und Minus-Punkte dieser Veröffentlichung aufzählen, als da wären zunächst die Minus-Punkte:

a) die stimmliche Verfassung des Barden, welche stellenweise etwas zu wünschen übrig läßt
b) die insgesamt eher mäßige Tonqualität des Mitschnitts
c) das entsetzliche Toupet des Sängers, das zu sehr von der Performance an sich ablenkt

Kommen wir nunmehr zu den Plus-Punkten:

a) die Set-List des Konzerts, welche neben Bekanntem auch selten gehörtes Material bietet
b) die Mitwirkung der Fürstin von Monaco, welche das Ereignis optisch ungemein aufwertet
c) die gute Laune des alternden Sängers, dessen Charisma seinerzeit noch ungebrochen war
d) die durchaus zufriedenstellende Bildqualität

Bei der Gesamtbewertung der Darbietung schwankte ich lange, lange zwischen einem "gut"
und einem "durchschnittlich" - in manch düsterem Moment schien mir in der Tat sogar ein "problematisch" nicht gänzlich ausgeschlossen - schlussendlich jedoch ringe ich mich in just diesem Moment zur Bewertung "gut" durch, nicht zuletzt sondern vielmehr hauptsächlich Frau Nora Tschirner halber, welche mich just heutigentages (dreiundzwanzigster Juno des Jahres Zwotausendundelf) - freilich ganz und gar ohne ihr Wissen - in außerordentlich gehobene Stimmung versetzt hat. Auf die Schilderung der genaueren Umstände erlauben Sie mir bitte zu verzichten, sie sind gänzlich privater Natur. Auch der von mir eben genossene Thunfischsalat - mein Corpus ist gerade im Begriffe, ihn zu verarbeiten - mag seinen bescheidenen Anteil an der letztendlich für gegenständliches Werk so überaus günstig ausgefallenen Entscheidung haben.
Einschränkender beziehungsweise erklärender Zusatz: Die Bewertung "gut" bedeutet in diesem Falle gerade noch "gut" und ist kaum eine Haaresbreite von "durchschnittlich" entfernt.

Zudem sann ich längere Zeit darüber nach, wie sich wohl Frau
Charlotte Roche entschieden haben würde und traf letztlich die Entscheidung, welche meiner Ansicht nach auch Frau Roche getroffen hätte. Fast immer, wenn ich unschlüssig vor einer Entscheidung - egal was betreffend - stehe, versuche ich mir vorzustellen, welcher Art die Entscheidung wohl wäre, hätte Frau Roche diesselbe zu treffen. Dies Verfahren, welches ich Ihnen, wertes Publicum, sehr empfehlen kann, hat zumindest in meinem Falle schon manch erquickliches Resultat gezeitigt.

Übrigens sollte es nach dem Konzert in der Festival Hall nur mehr wenige Monate dauern, bis Sinatra seine Entscheidung sich aus dem Show-Geschäft zurückzuziehen, publik machte und den Bühnen, Aufnahmestudios und Filmateliers den Rücken kehrte um sich ins Privatleben zurückzuziehen. Wie wir heute freilich alle wissen, war der "Ruhestand" von eher kurzer Dauer -
schon 1973 widerrief der Barde und hub erneut an, seiner Profession nachzugehen. Eine fast
klassisch zu nennende Fehlentscheidung, über welche ich mir übrigens erlaubt habe, just
hier
zu referieren. Weitere Gedanken meinerseits zu diesem Thema können Sie bei Interesse auch
hier nachlesen.

Zu einigen der hier zu Gehör gebrachten Lieder kann ich Ihnen, wertes Publicum, weiterführende Informationen anbieten - bei Interesse klicken Sie bitte auf den jeweiligen Song-Titel:

I´ve Got You Under My Skin
The Lady Is A Tramp
One For My Baby
My Way


Bewertung: gut


Songs
You Make Me Feel So Young
Pennies From Heaven
I´ve Got You Under My Skin
Something
The Lady Is A Tramp
I Get Along Without You Very Well
Didn´t We
One For My Baby
I Will Drink The Wine
I Have Dreamed
My Kind Of Town
My Way 


Aufgenommen am
16. November 1970



Musical Direction
Bill Miller

Producer
Harry Davison