ZUR PERSON     MUSIK     FILM     LEUTE     EXTRA     SERVICE     FORUM     NEUES     GÄSTEBUCH     NEUERSCHEINUNGEN
 
“Basically, I'm for anything that gets you through the night - be it prayer, tranquilizers or a bottle of Jack Daniels.”

“Critics don't bother me because if I do badly, I know I'm bad before they even write it. And if I'm good, I know I'm good. I know best about myself, so a critic doesn't anger me.”

“The thing that influenced me most was the way Tommy played his trombone. It was my idea to make my voice work in the same way as a trombone or violin - not sounding like them, but "playing" the voice like those instrument- alists.”
War Sinatra ein Jazz-Sänger?

Meine sehr geehrten Damen und Herren: Dieses Thema wird schon seit Jahrzehnten von Fans und Kritikern gleichermaßen diskutiert - natürlich machte auch ich mir - nicht nur in meiner Ihnen allen wohlbekannten Eigenschaft als Prinzipal der EOTC-Seiten, sondern auch als Privat-Person - gelegentlich meine Gedanken zu diesem umfangreichen und - wie wir noch sehen werden - hochkomplexen Thema.

Jazz-Puristen bringen Sinatra vermutlich zunächst einmal mit seinen Streicherorientierten Aufnahmen in Zusammenhang und werden bei der Frage, ob es sich bei Sinatra um einen Jazz-Sänger handelt, schon allein aus diesem Grunde mehrheitlich abwinken. Dem gegen- über stehen aber Songs bzw. ganze Alben aus allen Phasen von Sinatras langer Karriere, in denen er auf die Vewendung von Streichern verzichtete. Zudem finden wir in den Live- und Studio-Orchestern immer wieder hochkarätige Jazz-Musiker und es gibt Zusammenarbeiten zwischen Sinatra und Giganten des Jazz wie
Count Basie, Duke Ellington, Ella Fitzgerald, Louis Armstrong und Oscar Peterson – wie Sie also sehen, eine hochgradig interessante Frage, die aus veschiedenen Blickpunkten aus betrachtet werden kann, soll und muss.

Selbstverständlich ist es aber auch genauso legitim, zu sagen: Musik ist entweder gut oder schlecht, ob man ihr nun das Etikett Jazz, Pop oder Polka umhängt, ist im Grunde einerlei.

Im Zusammhang mit Sinatra wird oft erwähnt, er habe geswingt, in seiner Stimme sei Swing gewesen. Und in der Tat gibt es eine Reihe von Sinatra-Alben, die den Begriff "Swing" sogar im Titel führen, etwa
Come Swing With Me oder auch A Swingin´ Affair, um zwei der bekanntesten zu nennen. Swing (als Stilbezeichnung) meint natürlich in weiteren Sinne
auch Jazz – genauer gesagt jenen Stil, der in den 30er Jahren so in Mode war, dass damals eigentlich auch die „populäre Unterhaltungsmusik“ im Grunde nichts anderes war als Jazz, wenngleich hier und da in etwas verwässerter Form. Zur wirklichen Trennung von Unterhalt- ungsmusik und Jazz kam es bekanntlich dann Anfang der Vierziger Jahre, als Jazzer nach Neuland suchten und dabei Spielweisen entwickelten, die damals revolutionär wirkten und im Gegensatz zum Swing-Stil nicht mehr massentauglich waren.

Jemand, der wie Sinatra Zeit seines Lebens „streicher-besessen“ war (gut vier Fünftel seines Schaffens entstand mit Streicherbegleitung) wird sich vermutlich selbst nicht als Jazz-Sänger gesehen haben. Wo Streicher beginnen, hört der Jazz zumeist auf und es gibt nicht viele Beispiele, wo mit Streicherbeteiligung echte Jazzaufnahmen entstanden wären – zumeist kommt dabei kommerziell massentaugliche Ware heraus, in der die Vitalität des Jazz zurücktritt, was bleibt ist meist seichter Cross-Over – weder Fisch noch Fleisch.

Sinatra selber wäre es vermutlich auch gar nicht einmal recht gewesen, in die „Jazz-Ecke“ eingeordnet zu werden, ihm ging es vor allem immer auch um Massenpopularität und Verkaufszahlen und dem Jazz zumindest nach der Swing-Ära haftet das hartnäckige Image an, eine jedenfalls etwas elitäre und nicht unbedingt massentaugliche Musikrichtung zu sein.

Sinatra war also – so sehe ich die Sache – kein Jazz-Sänger, wiewohl er mit einigen seiner Arbeiten in einen Bereich vorstieß, wo die Grenzen nicht mehr scharf gezogen, sondern vielmehr sehr verschwommen verlaufen – etwa bei seinen Platten mit Ellington oder Basie, dem Sextet-Album
Live In Paris oder den ursprünglichen acht Songs des wunderbaren Albums Swing Easy. Aber auch in den Fällen, wo Sinatra dem Jazz recht nahe kam, möchte ich nicht von Jazz sprechen, denn auch hier handelt es sich um Arrangements, die bis ins letzte Detail ausgearbeitet wurden, wo nichts der Improvisation überlassen wurde. Gerade die Improvisation ist aber natürlich ein Hauptmerkmal des Jazz. Wie es auch ein Merkmal des Jazz ist, dass hier mehr oder weniger „Gleichberechtigte“ am Werken und Wirken sind – in Sinatras Musik ist aber immer der Sänger der unumschränkte Mittelpunkt, es findet sich kein Raum für ausgeprägte solistische Exkursionen der Mitspieler, es gibt in dem Sinne kein „miteinander-spielen“ sondern nur ein „für-den-Star-spielen“.

Als Antwort auf die Frage, ob Sinatra ein Jazz-Sänger war, eignet sich meiner Meinung nach sehr gut das Sinatra-Tribut-Album
Perfectly Frank von Tony Bennett. Diese Platte ist das Jazz-Album, das Sinatra nie gemacht hat. Bennett ist hier ganz und gar Jazz-Mann und
die Begleitcombo hat einen sehr viel höheren Stellenwert, als es die Musiker bei Sinatras Einspielungen gewöhnlich hatten. Unbedingt empfehlenswert, meine hochgeehrten Damen und Herren, unbedingt empfehlenswert!!

Wohlan, wertes Publicum, Sie sehen es spätestens jetzt selbst klar vor Augen: dieses Thema ist wahrlich ein sehr vielschichtiges und gar leicht kommt man vom hundertsten ins Tausendste! Potzpollunder! Noch gar nicht erwähnt habe ich die Frage, ob Sinatras Stimme nun eigentlich „jazz-tauglich“ war, bis jetzt habe ich lediglich schlaglichtartig und ganz oberflächlich sein musikalisches Umfeld beleuchtet. Gar nicht erwähnt habe ich weiters das Repertoire des Barden, hier fände sich ebenfalls genug, was oberflächlich gesehen vielleicht für die These, Sinatra wäre ein Jazzer gewesen spricht, was aber – wie wir später noch sehen werden – näherer Betrachtung nicht standhält. Dafür finden wir aber in Sinatras Repertoire wiederum sehr, sehr viel Material, an welches ein Jazzer reinen und reinsten Wassers niemals Hand gelegt hätte. In der Tat: hier steht der Jazzer, den die Weiterent- wicklung seiner Kunst am Herzen liegt, dort steht der reine Unterhaltungskünstler, der zunächst einmal auch danach trachtet, Geld zu verdienen und zwar richtiges Geld... Jedenfalls steht für mich ziemlich sicher fest, dass Sinatra nicht zu den Jazzern gezählt werden darf, wenngleich er ihm hie und da nahegekommen ist. Wahrlich, wahrlich: dieses Thema peinlich genau zu recherchieren und gründlich zu durchdenken, wäre eine enorme Herausforderung für einen Autor, hoffentlich macht sich in Zukunft ein professioneller Schreiber daran, sich dieser Materie anzunehmen, bevor ich mich womöglich gar noch selbst...

Ein Buch von mindestens siebenhundertundvierundsiebenzig Seiten würde womöglich gar nicht hinreichen, um die Frage ausreichend zu klären. Ahhhh, meine lieben Freunde, werthes Publicum – Sinatra und der Jazz, das sind zwei ganz verschiedene Paar Schuhe... vielleicht werden Sie mir jetzt entgegenhalten wollen, Sinatra habe immerhin in den 50er-Jahren in seiner bekannten Radio-Show "Perfectly Frank" mit kleiner Besetzung vielfach sehr jazz- lastig arrangierte Songs zum Besten gegeben, weiters habe er anno 1959 mit der Combo
des Vibraphonisten Red Norvo gesungen (wovon Jahrzehnte später auch ein Mitschnitt,

Live In Australia betitelt - erschienen ist) - Wohlan: In der Tat ist Sinatra etwa mit Red
Norvo dem Jazz sehr nahe gekommen, was aber ohnehin in der Natur der Sache liegt, wenn man denn schon einmal einen Auftritt mit einer ausgewiesenen Jazz-Combo absolviert. So gesehen wäre diese CD natürlich ein schwerwiegendes Argument dafür, dass Sinatra „auch Jazz gesungen hat“. Ob dies Argument auch stichhaltig ist, werde ich in Bälde einer gewiss- enhaften, wenn auch natürlich nur subjektiven Analyse unterziehen. Motto dabei: wird ein Sänger automatisch zum Jazz-Sänger, wenn er mit einer Jazz-Band zusammenarbeitet? Wird etwa ein Schlager-Heini wie Roland Kaiser zum Jazzer, wenn er eine Platte mit dem Count Basie Orchestra (welches auch nach dem Tode des Leiters noch weiterbesteht) aufnimmt? Hiebei betreten wir höchst hypothetischen Boden, denn für den „normalen“ Konsum der Musik ist eine solche Frage im Grunde zweitrangig... nichts Trotz desto ist
das Problem durchaus wert, gelegentlich durchdacht zu werden. Übrigens soll Norvo Sinatra seinerzeit – Ende der 30er – den Posten eines Bandsängers angeboten haben, Sinatra aber war sich soeben mit Harry James handelseinig geworden.

Die Aussage „Jazz und Sinatra sind zwei verschiedene Paar Schuhe“ mag pauschal wirken, aber die Pauschalität reativiert sich in gewisser Weise, wenn man sich vor Ohren hält, dass die Beispiele, welche Sinatra wirklich ganz augenfällig in die Nähe des Jazz rücken, doch von eher geringer Anzahl sind. Dem gegenüber stehen die hunderte von Streicher-Aufnahmen und diverse Phasen in Sinatras Karriere, in welchen er sich ausgesprochen seichten Materials, oft auch richtigen Mülls annahm, welcher jedem Jazz-Begeisterten den Angstschweiß auf die Stirn zu treiben vermag.

Sinatra wegen einiger weniger vielleicht berechtigter Beispiele nun das Etikett „Jazz-Sänger“ an die Brust zu heften, wäre vielleicht genauso vermessen, wie etwa einem Rod Stewart das Prädikat „Crooner“ umzuhängen. Bei Stewart stehen auch einige Dutzend Rock- und Pop- Alben gerade vier Songbook-Alben gegenüber... Es mag genug Jazz-Puristen geben, die bei einer Frage, ob Sinatra denn ein Jazz-Sänger gewesen sei oder auch wenigstens geleg- entlich Jazz gesungen habe, in größtmöglichster Entrüstung mit der Faust auf den Tisch hauen, dass das Porzellan bis an die Decke springt und noch das Nachtgeschirr im Nebenzimmer zerspringt.

In Zusammenhang mit gegenständlicher Thematik ist sicherlich hochinteressant und unbedingt erwähnenswert, dass ähnliche Diskussionen ebenfalls seit Jahrzehnten über
Miles Davis und seine Musik geführt wurden und werden - nur hier mit umgekehrten Vorzeichen. Hier wird darüber disputiert, ob Davis nicht ab einem bestimmten Zeitpunkt in seiner Laufbahn überhaupt kein Jazz-Musiker mehr gewesen sei. Wie auch im Falle Sinatras ist die ganze Diskussion eher ein Gedankenspiel als von realer Bedeutung: entweder die Musik gefällt einem oder nicht, welches Etikett man ihr umhängt, kann dem durchschnittlich interessierten Hörer eigentlich völlig einerlei sein.

Sinatra war für mich also kein Jazz-Sänger, sein musikalisches Umfeld spricht in elf von zehn Fällen strikt dagegen. Sinatra war ein Künstler des Populär-Bereichs, ein Orchestersänger mit - zumindest vordergründig betrachtet - stetem Drang, das zu singen, was gerade beim Publicum populär war, ja in der Tat: Der Barde schreckte in den End-60er- und noch in den 70er-Jahren vor keiner musikalischen Peinlichkeit zurück, indem er eine ganze Reihe aller- seichteste Pop-Schlager coverte, um sich an den Erfolg dieser Machwerke anzuhängen und von ihrer Popularität zu profitieren, da seine eigene Popularität zwangsweise am Schwinden war, je mehr "seine" Musik - vornehmlich die Standards des Great American Songbook - an Zugkraft einbüßte und je älter er selbst wurde und je mehr seine gesanglichen Fähigkeiten zu schwinden im Begriffe waren. Schon dies unterscheidet Sinatra von einem Jazzer reinsten Wassers: Ein solcher nämlich übt seine Kunst relativ unbeeindruckt von Publicums-Neigung- en und temporären Mode-Erscheinungen aus und ist in erster Linie seiner Kunst und erst in zweiter Linie seinem Geldsäckel verpflichtet.

Und letztlich auch deswegen wollte Sinatra - wiewohl es ihn vermutlich gefreut hat, wenn ihm aus der Welt des Jazz Anerkennung gezollt wurde - wohl nie als Jazz- Sänger in engstem Sinne verstanden oder wahrgenommen werden. Denn dazu hätte es des Mutes bedurft, auch "unpopulär" zu sein, nicht unbedingt Millionen zu verdienen, Anerkennung nur im verhältnis- mäßig engen Zirkel der Jazz-Fans zu finden, anstatt mit Welthits wie Strangers In The Night oder My Way ein Millionenpublikum in aller Welt zu erreichen.

(Fortsetzung folgt, meine hochgeehrten Damen und Herren, Fortsetzung folgt...)




 
Songs im Vergleich:

Nancy
(With The Laughin´ Face)

3. Dez. 1944  (Columbia)
22. August 1945 (Columbia)
29. April 1963 (Reprise)
9. März 1977  (Reprise)

Sinatra hat den Song in etlichen Versionen aufge- nommen, zweifelsfrei am besten gesungen ist wohl
(wie so oft, wenn mehrere zeitlich weit auseinanderlieg- ende Fassungen vorliegen) die erste Columbia-Version. Die zweite Columbia-Version steht der ersten Version kaum nach, ist ihr im Grunde ebenbürtig.

Die erste Reprise-Fassung, die man u.a. auf Sinatra´s Sinatra findet, halte ich auch für ziem- lich gelungen und sie ist in erster Linie wegen der ungleich besseren Tonqualität interess- ant.

Dass sie aber vor allem stimm- lich den Vergleich mit den Columbia-Versionen nicht standhält, ist eine Tatsache, die sich beinahe von selbst versteht. Sinatra´s Stimme befand sich zum Zeitpunkt der beiden Columbia-Fassungen gerade auf dem Höhepunkt.


Noch einige Worte zu der (ungewöhnlich kurzen) Reprise- Version, die Sinatra im Jahre 1977 für das geplante Here´s To The Ladies- Album aufge- nommen hat: Ich halte hier
das Arrangement für ganz besonders gelungen, vor allem die Trompete im Hintergrund ist sehr wirkungsvoll eingesetzt. Und Sinatra´s gesanglicher Vortrag... tja, was soll man da sagen... Von der Handvoll damals aufgenommener Ladies-Songs scheint mir der Sänger bei Nancy stimmlich noch am besten disponiert gewesen zu sein, andere Songs dieser Sessions wie Sweet Lorraine, vor allem aber Linda sind im Vergleich zu Nancy ganz erbärmlich gesung- en, da wird wohl kaum jemand ernsthaft widersprechen wollen... Stimmlich kann Sinatra dennoch bei dieser jüngsten Aufnahme natur- gemäß nur bitter enttäuschen.