SINATRA: All Alone

All Alone

Je nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt Sinatra-Platten, welche beim Hören nahezu uneingeschränkte Begeisterung auszulösen vermögen, wie etwa die meisten Werke aus der Capitol-Ära, ganz und gar zu schweigen von den großmeisterlichen Columbia-Arbeiten.

Andere wiederum hinterlassen ein Gefühl der Enttäuschung, wie etwa die überwiegende Zahl der Platten seit 1965. Es gibt auch einige Platten, welche offene, helle Bestürzung hervorrufen, etwa The World We Knew oder vor allem L.A. Is My Lady.

Diese Platte aus dem Jahr 1962 ruft ein ganz anderes Gefühl hervor, nämlich tiefe, bohrende Langeweile. Das ist umso trauriger, als hier die Voraussetzungen für eine gute Platte durchaus gegeben waren: Ein Sänger in sehr guter stimmlicher Verfassung und in Gestalt von Gordon Jenkins ein ganz hervorragender und überdies in der Zusammenarbeit mit Sinatra wohl erprobter Arrangeur.

Mit Where Are You und No One Cares schufen Sinatra und Gordon Jenkins in der Capitol- Phase des Sängers zwei zeitlose Meisterwerke, desto enttäuschender das Ergebnis dieser erneuten Zusammenarbeit.

Einerseits liegt der Grund dafür in der Tatsache, dass die Stücke allesamt im Walzer-Tempo gehalten sind - tatsächlich sollte die Platte ursprünglich Come Waltz With Me heißen - ander- erseits auch in der Tatsache, dass neun von zwölf Songs aus den Jahren 1913-1929 stammen, also mit anderen Worten aus dem Jahre Schnee.

Hatte der Barde bei seinen bisherigen "Torch-Song"- Alben die schwierige Gratwanderung zwischen Kunst und Kitsch bravourös gemeistert, misslingt ihm dieses Kunststück auf
dieser Platte auf der ganzen Linie.

Meine sehr geehrten Damen und Herren: Schon bei der ersten Nummer, All Alone, hat man spätestens gegen Ende des Liedes, wenn eine Hintergrundsängerin in albernster Weise "remember me" schmachtet, das Gefühl einer Parodie auf die Balladen-Alben der 50er Jahre beizuwohnen. Dieses Gefühl verstärkt sich im weiteren Verlauf der Platte noch zusehends.

The Girl Next Door kann sich mit der Capitol-Fassung in keinster Weise messen, während
Are You Lonesome Tonight immerhin zumindest eine Alternative zu der zwar weltbekannten, aber unerträglichen Interpretation durch Elvis Presley darstellt. Bei dem Song Charmaine wiederum wird sogar der eingeschworenste Sinatra-Fan unwillkürlich zu Oropax greifen. Dieser Song ist im schwülstigen Umfeld eines Mantovani-Orchesters eindeutig besser aufgehoben.

Die gesangliche und interpretarorische Leistung Sinatras ist über weiteste Strecken kaum
zu bemäkeln, aber diese Songs, welche man tief aus der Mottenkiste der amerikanischen Populärmusik hervorgekramt hatte, haben ganz einfach zu wenig Substanz, als dass sie der Sänger hätte retten können.

Hier gerinnt dann der oft übersteigerte Pathos öfters vollends zur Peinlichkeit. Die Platte ist in Summe gesehen ein hochwirksames Barbiturat auf natürlicher Basis und leistet dementsprech- end rasche Hilfe bei Einschlafproblemen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn Sie meine abschließende Meinung zu dieser Platte hören wollen: Eine der überflüssigsten Sinatra- Platten überhaupt.

Ich hoffe, für niemand stellt dieses Album den ersten Kauf einer Sinatra-Platte dar - der Schaden wäre kaum wieder gutzumachen und der Käufer wohl für alle Zeiten für eine weitergehende Beschäftigung mit dem Oeuvre des Barden verloren. In der Tat, wer sich als erstes dieses Album kauft, muss zur Überzeugung gelangen, bei Sinatra handelte es sich um nichts weiter als den größten Schnarchstiefel in der Geschichte der Populärmusik.

Bewertung: schlecht