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“Basically, I'm for anything that gets you through the night - be it prayer, tranquilizers or a bottle of Jack Daniels.”

“Critics don't bother me because if I do badly, I know I'm bad before they even write it. And if I'm good, I know I'm good. I know best about myself, so a critic doesn't anger me.”

“The thing that influenced me most was the way Tommy played his trombone. It was my idea to make my voice work in the same way as a trombone or violin - not sounding like them, but "playing" the voice like those instrument- alists.”
Live At The Meadowlands

Die Verwalter der musikalischen Hinterlassenschaft des Entertainer Of The Century scheinen
nun offenbar auf eine ähnliche Veröffentlichungspolitik verfallen zu sein, wie die Nachlassverwalter etlicher anderer verblichener Größen der Musikgeschichte: Nämlich jährlich mindestens ein Produkt auf den Markt zu werfen, welches bislang noch unveröffentlichtes Live-Material des Künstlers enthält. Dies kann freilich auch positiv gesehen werden, meine sehr geehrten Damen und Herren.

Wie eigentlich bei allen Sinatra-Veröffentlichungen aus der Zeit nach 1970 müssen auch hier die stimmliche Verfassung des Seniors betreffend zum Teil deutliche Abstriche gemacht werden. Der Sänger scheint bei diesen Aufnahmen zwar guter Laune, aber nicht bei bester Stimme gewesen zu sein. Somit erweckt er den Eindruck eines hochbejahrten Mannes, der Anekdoten aus seinem reichen Leben zum Besten gibt und längst vergilbte Fotos aus früheren und besseren Tagen herumreicht. Es ist eher die Präsenz der Legende und der Respekt, den wir Sinatras früheren Leistungen entgegenbringen als die tatsächliche Leistung des Sängers, die diesen Aufnahmen
einen gewissen Wert verleihen.

Einmal mehr ist man leider veranlasst, festzustellen dass Sinatra viel zu lange daran festgehalten hat, im Rampenlicht zu stehen. Das außerordentlich kompetent aufmusizierende Begleitorchester unter der Leitung von Bill Miller kann nicht über die unerquickliche Form, in welcher sich Sinatra damals befand, hinwegtäuschen, seine Stimmprobleme kaschieren oder gar vergessen machen - genausowenig die zugegebenermaßen exquisite Set-List, wobei allerdings wieder einmal anzu- merken wäre, dass freilich die meisten der hier dargebotenen Songs bereits in teils unzähligen Versionen auf anderen Veröffentlichungen des Barden zu finden sind.

Folgendes ist für mich das Hauptproblem dieser Performance: Der über siebzigjährige Sänger versucht seinem Publicum glaubhaft zu machen, er sei immer noch der Sänger, der er in den 50er und 60er Jahren war - dies ist generell eines der Hauptprobleme bei Live-Aufnahmen aus Sinatras Spätphase - obgleich sich seine Stimme kontinuierlich verschlechterte, reagierte Sinatra nicht auf diesen Umstand, sondern machte einfach weiter, als befände er sich immer noch im Jahre 1965 beziehungsweise gar noch früher. Dieser offenbare Realitätsverlust oder vielmehr die starrsinnige Weigerung, die geänderten Verhältnisse zu akzeptieren, ist eigentlich noch schockierender als all die stimmlichen Unzulänglichkeiten, welche seine Fans ihm leider viel zu lange Jahre verziehen haben.

Für Sinatra bedeutete der Auftritt im März des Jahres 1986 in New Jersey so etwas wie ein Heimspiel und in der Tat scheint diese Tatsache sich in seiner Laune niederzuschlagen und der
Senior hat offenbar Spaß daran, mit seinem Publicum und den Musikern zu kommunizieren. Nach einer längeren Instrumental-Overtüre, welche sich als Medley aus My Way, I Get A Kick Out Of You, Yong At Heart, Nancy, There Are Such Things, High Hopes, I´ve Got You Under My Skin, My Kind Of Town, All The Way und Strangers In The Night erweist, stellt sich die bejahrte Legende seinem Publicum zunächst mit drei altbewährten Schlachtrössern - Without A Song, Where Or
When (beide mit besonders tiefer, knarziger Stimme dargeboten) sowie For Once In My Life verfehlen nie ihre Wirkung auf die Zuhörer und machen der Altersstimme Sinatras auch weniger Probleme als manche Songs, die im späteren Verlauf auf dem Programm stehen. Darauf folgt mit Nice ´n´ Easy eine Rarität, bislang war der Song noch auf keiner offiziell erschienenen Live-CD des Barden zu hören. Das Orchester spielt eine fantastische Version dieses Klassikers, aber Sinatras Stimme ist um einige Klassen schlechter als bei der Studio-Aufnahme und der Senior hat hier bereits deutliche Probleme, die richtigen Noten zum richtigen Zeitpunkt zu treffen. My Heart Stood Still ist dann geradezu ein Paradebeispiel für die greisenhaft-weinerliche Art des alten Sinatra, eine Ballade zu singen - nichts erinnert mehr an die mühelose Kontrolle, mit der er in guten Tagen über seine Stimme zu gebieten gewohnt war. Man ist in der Tat erleichtert, wenn er den Song schließ- lich endlich hinter sich gebracht hat - meine Damen und Herren, ein wahrlich wenig erquickender Moment dieser Veröffentlichung.

Als nächstes überrascht der Barde mit einer swingenden Version des Klassikers Change Partners, welchen er 1967 in einer Bossa-Nova-Version zusammen mit Antonio Carlos Jobim
eingespielt hatte. Sinatra swingt mit raspelig-rauher Stimme und offenbar gut gelaunt durch das ausgesprochen gelungene Arrangement und man bedauert unweigerlich, dass er den Song nicht auch in einer Studio-Swing-Version auf Schallplatte verewigt hat. It Was A Very Good Year ist eine weitere Rarität und wird von Sinatra überraschenderweise sogar recht zufriedenstellend
bewältigt - selbiges gilt auch für die nächsten beiden Songs: You Make Me Feel So Young,
ein Song, welchen sogar der Sinatra der 90er-Jahre ab und an recht gut intoniert hat sowie The Gal That Got Away, einem Highlight des späten Studio-Schaffens des Sängers. (Theme From)
New York, New York entstammt ebenfalls dem Spät-Werk und erweiset sich wie immer als durchaus hörenswert. Nach einem relativ launigen Monolog folgen drei Balladen, von welchen
Come Rain Or Come Shine Sinatra noch relativ am wenigsten Probleme bereitet, wohingegen
Bewitched und Moonlight In Vermont jedem Hörer, der dem Sinatra der 40er- bis Mitt-60er-Jahre den Vorzug gibt, naturgemäß eine gewisse Pein bereiten. - Beide Songs stellen auch für einen jungen Sänger eine beträchtliche Herausforderung dar, der alte Sinatra kämpft hier meiner
bescheidenen Meinung nach auf völlig aussichtslosem Posten.

L.A. Is My Lady, den schwächsten Song des gleichnamigen Albums hätte man sich getrost schenken können, I´ve Got You Under My Skin kommt routiniert über die Runden. Nun jedoch, meine Damen und Herren, folgen die schlimmsten Minuten dieser Veröffentlichung: der bejahrte Sinatra der nicht nur sein Publicum, sondern ganz offenbar auch sich selbst mit einer ungemein
weinerlichen Version von Someone To Watch Over Me quält. Nicht einmal der fanatischste Fan dürfte diesem - verzeihen Sie mir den Ausdruck - Geseiere etwas abgewinnen können. Mit dem Saloon-Song One For My Baby kann Sinatra wieder einige Punkte gutmachen, bevor er ganz zum Schluss doch noch zu erstaunlicher Form aufläuft: In der Tat, bei Mack The Knife scheinen die Lebensgeister des greisen Barden zu erwachen - kongenial unterstützt vom beherzt swingenden Orchester gelingt Sinatra eine selten packende Version dieses Titels, welche die eher behäbige Studio-Aufnahme weit in den Schatten stellt. Hier entwickelt der Sänger jenes Feuer und jenen Biss, den man ansonsten auf dieser CD nur allzu oft schmerzlich vermissen muss.

Meine hochverehrten Damen und Herren: Es gibt doch tatsächlich in Fan-Kreisen Leute, welche die Verschlechterung von Sinatras Stimme in seinen späteren Jahren unbeeindruckt läßt und welche im Gegenteil mitunter sogar die von mir ganz und gar nicht geteilte Auffassung vertreten, was Sinatra im Alter an Stimme verlor, hätte er durch Reife und Persönlichkeit des Vortrages und so weiter mehr als wettgemacht. Wohlan, all jene Hörer, welche zu solchen Rechtfertigungen neigen, werden dieser im Jahre 2009 herausgebrachten CD mit einigem Pläsier lauschen, während der andere und vermutlich überwiegende Teil der Fangemeinde, welcher einem jüngeren Sinatra zugeneigt ist, vielfach hart an die Grenzen seiner Belastbarkeit geführt wird -  insbesondere was Sinatras hier meist verunglückte Balladen-Darbietungen anbetrifft.

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Bewertung:
problematisch
Songs
Overture
Without A Song
Where Or When
For Once In My Life
Nice ´n´ Easy
My Heart Stood Still
Change Partners
It Was A Very Good Year
You Make Me Feel So Young
The Gal That Got Away
(Theme From) New York, New York
Monologue
Come Rain Or Come Shine
Bewitched
Moonlight in Vermont
L.A. Is My Lady
I´ve Got You Under My Skin
Someone To Watch Over Me
One For My Baby
Mack The Knife
New York Bows



Aufgenommen am 14. März
1986 Meadowlands Sport
Complex East Rutherford




Produzent
Charles Pignone

Liner Notes
Hank Cattaneo