SINATRA: Everything Happens To Me

Everything Happens To Me

Einer von vielen Samplern und aus mehreren Gründen doch auch etwas Besonderes.
Sehr geehrte Damen und Herren: Hier kommen dem Käufer einmal nicht die altbekannten und ohnedies schon fast bis zum Überdruß gehörten Hits wie Somethin´ Stupid, My Way, Strangers In The Night oder Theme From New York, New York zu Ohren, sondern Material, das dem Neuling eher wenig, dem altgedienten Sinatra-Enthusiasten aber desto mehr sagt.

Auf rund siebzig Minuten finden wir neunzehn Balladen-Aufnahmen aus rund zwanzig Jahren versammelt, die der Fan natürlich alle kennt und zu schätzen weiß - zusammengestellt von Sinatra höchstpersönlich, wenn man den Angaben von Tochter Tina Sinatra in den Liner-Notes des Booklets Glauben schenken darf. Ob er die Songs nun wirklich 1995 höchstpersönlich vor Erscheinen dieses Samplers ausgesucht hat oder ob die Auswahl nur in Sinatras Namen getroffen wurde (was eher anzunehmen ist) ist eigentlich nebensächlich, denn in jedem Fall wurde eine gute Wahl getroffen.

Zwar handelt es sich bei dieser Veröffentlichung "nur" um einen Sampler, aber das Album erscheint durch die gelungene Auswahl wie aus einem Guss und erinnert stimmungsmäßig an den Concept-Album-Gedanken der Capitol-Jahre des Sängers. Die hier versammelten Songs spiegeln verwandte Emotionen und Gefühlszustände wie Verlassenheit, Trauer, Resignation, Nachdenklichkeit und Melancholie, bewegen sich also auf einem Terrain, auf dem Sinatra schon immer besonders glaubwürdig war.

Der bei Weitem überwiegende Anteil der Songs stammt aus den 60er-Jahren und sie alle sind schlagende Beweise dafür, dass Sinatra zurecht als DER Populärsänger des 20. Jahrhunderts angesehen wird. Ein Höhepunkt von Sinatras Balladen-Kunst reiht sich hier an den anderen, die hervorstechendsten Songs sind sicherlich If I Had You in der definitiven Sinatra-Aufnahme von 1962, Come Rain Or Come Shine, ein Stück das Sinatra bis 1994 in fast jedem Konzert vorgetragen hat, sowie die Kneipen-Ballade Drinking Again, ein Meisterwerk in der Tradition großer Saloon-Songs wie Angel Eyes oder One For My Baby.

Warum aber der greise Sinatra (oder wer auch immer die tatsächliche Auswahl besorgte) Durchschnitts-Songs wie Yesterday und Summer Wind ins Programm nahm und Titel wie
The September Of My Years, A Man Alone oder Hello Young Lovers nicht berücksichtigte, erscheint nachgerade etwas rätselhaft, wenn Sie mir diese Feststellung erlauben wollen,
meine sehr geehrten Damen und Herren.

Der bejahrte Sinatra der 70er und 80er Jahre, dessen rapide nachlassende gesangliche Fähig- keiten mit denen der 60er Jahre nicht mehr vergleichbar sind, ist auf dieser Kollektion persönlich- er Favoriten nur sehr spärlich vertreten. Als Beispiele für Sinatras Spätschaffen hört man What Are You Doing The Rest Of Your Life von 1974, More Than You Know von 1979 sowie das grandiose Medley The Gal That Got Away/It Never Entered My Mind aus dem Jahre 1981.
Mit der ebenfalls 1981 entstandenen, aber lange unveröffentlicht gebliebenen Titelnummer Everything Happens To Me bietet dieser Sampler auch einen zusätzlichen Kaufanreiz. Diese Nummer ist ansonsten nur auf der kostspieligen, ganze 20 CDs umfassenden Werkschau
The Complete Reprise Studio Recordings zu hören.

Wie erwähnt, soll der greise Barde selbst die Songs und die Reihenfolge der Titel bestimmt haben, somit wäre diese CD mit neunzehn persönlichen Favoriten des Sängers als eine Art musikalisches Vermächtnis zu sehen.

Wer die Original-CDs von Sinatra im Regal stehen hat, bekommt hier zwar nichts Neues,
aber zumindest eine außerordentlich gelungene Zusammenstellung. Den nur gelegentlichen Sinatra-Hörern sei diese CD ganz besonders empfohlen, da sie abseits aller Best-Of- und Greatest Hits-Klischees einen guten Einblick in das anspruchsvollere Schaffen des Sängers bietet und dem Phänomen Sinatra auf differenziertere Art zu Leibe rückt als ein Allerwelts- Sampler wie New York, New York.

"These are the songs of the soul. These are my songs." wird Sinatra in den Liner-Notes
zitiert und diesem Satz ist auch aus meiner - also gleichsam prinzipaler - Sicht nichts
mehr hinzuzufügen.

Bewertung: sehr gut